Drei Ebenen der emotionalen Wahrnehmung: Großeltern – Eltern – Kind. Ein Blick auf die Verstrickungen
Zu den vielen Anlässen für eine Familienmediation zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern oder Elternteilen gehört immer wieder der strittige Umgang zwischen Großeltern und Enkelkindern. Regelmäßig bietet dieses Verwandtschaftsverhältnis Anlass für teils stark eskalierte Konflikte. Manchen Eltern fällt es schwer, den Umgang mit Oma und Opa überhaupt zuzulassen, andere Eltern lassen den Kontakt zwar zu, leiden jedoch stark darunter. In manchen Fällen führt dies sogar dazu, dass Eltern ihren eigenen Eltern und damit den Großeltern den Kontakt zu den Enkelkindern verbieten. Liegt ein solcher Konflikt vor, dann gilt es für uns Mediatoren in der Familienmediation besonders genau hinzuschauen.
Der Wunsch vieler junger Eltern, das eigene Familienleben schöner, besser und friedlicher zu gestalten als die eigenen Eltern dies in der Herkunftsfamilie getan haben, ist ein Vorsatz, der beinahe jede Familiengründung begleitet.
Und oft gelingt dies zu Beginn der Familiengründung auch. Junge Eltern haben mühselig gelernt, sich aus den alten Mustern zu befreien, die da hießen Schuldzuweisungen, Nichtbeachtung, in seinem Potential nicht erkannt werden, nicht ernst genommen werden, beschämt werden, das brave Kind sein müssen. Sie gründen eine Familie und schaffen es anfangs, sich den eigenen Kindern gegenüber anders zu verhalten, sich mehr zuzuwenden und wirklich zuzuhören. Mit zunehmendem Alter der Kinder ändert sich dies jedoch, besonders wenn Babys immer mehr zu kleinen Kindern mit eigenen Bedürfnissen werden und diese lautstark äußern. Dann erleben die Eltern, wie die Großeltern mit den Kindern Kontakt haben und vielleicht fallen dabei immer wieder Sätze wie: „Jetzt sei doch nicht so eine alte Heulsuse“ oder „Wie oft muss ich dir das noch sagen, bis du es begreifst?“ Oder es wird auch nur ein deutliches „Nein, ich will das nicht!“ des Kindes bewusst und wiederholt übergangen.
Eltern sind ratlos, weshalb sie als vermeintlich unbeteiligte Zuschauer der Situation so heftig reagieren. Plötzlich hören sie sich – als erwachsene Menschen – laut werden, aufbrausen, meckern, weinen oder sonstige „auffällige” Reaktionen zeigen – ähnlich denen ihrer kleinen Kinder. In der Folge kommt es zum Streit mit den Großeltern und manchmal auch zum Kontaktabbruch: Die Eltern wollen nun unter keinen Umständen mehr, dass die Enkelkinder zu den Großeltern gehen.
Es könnte sein, dass die jungen Eltern unter einem so genannten Entwicklungstrauma leiden. Dies entsteht, im Gegensatz zu dem eher bekannten Schocktrauma, nicht durch ein singuläres Ereignis, sondern im Verlauf der Biografie, wenn Kinder sich zu wenig gesehen fühlen, ihre Grenzen wiederholt überschritten werden, sie schreien gelassen werden oder es Bindungsunterbrechungen gibt, wie zum Beispiel längere Krankenhausaufenthalte (vgl. Dami Charf, www.traumaheilung.de/entwicklungstrauma)
Was also geschehen ist: Durch den Umgang der Großeltern mit den Enkelkindern werden die jetzigen Eltern mit Situationen konfrontiert, die bei ihnen tief vergrabene und schmerzhafte Erinnerungen an ihre eigene Kindheit hervorrufen. Und ebendiese Erinnerung löst bei ihnen Gefühle aus, die sie in frühester Kindheit abgespeichert, jedoch nicht integriert haben – und unter denen sie bis ins Erwachsenenalter leiden.
Sie kommen durch den Umgang der Großeltern mit den Enkeln mit ihrem alten Schmerz in Kontakt, der in ihnen allzu vertraut und damit immer noch in ihnen lebendig ist und der sie – auch heute als erwachsene Menschen – immer noch hilflos macht. Mit anderen Worten: Bei den Eltern wird das Innere Kind aktiviert. Das Innere Kind gehört zu einer modellhaften Betrachtungsweise innerer Erlebnisweltern, die durch Bücher von John Bradshaw sowie Erika Chopich und Margaret Paul bekannt wurden. Es bezeichnet und symbolisiert die im Gehirn gespeicherten Gefühle, Erinnerungen und Erfahrungen aus der eigenen Kindheit. Hierzu gehört das ganze Spektrum intensiver Gefühle wie unbändige Freude, abgrundtiefer Schmerz, Glück und Traurigkeit, Intuition, Neugierde und GEfühle von Verlassenheit, Angst oder Wut (vergl. https://de.wikipedia.org/wiki/Inneres_Kind).
Wenn Eltern jetzt aber den Kontakt zwischen Großeltern und Enkeln verbieten, schaffen sie in der besten Absicht, ihre Kinder zu schützen, einen neuen Schmerz, nämlich den zwischen Großeltern und Enkelkindern. Sie legen damit unbeabsichtigt den Grundstein für neue belastete Beziehungserfahrungen. Das Entwicklungstrauma der Eltern wird also ungewollt weitergereicht an die eigenen Kinder und an die Großeltern und kann von dort, wenn es keine Intervention von außen gibt, an weitere Generationen übertragen werden. Wir nennen dies das transgenerationale Trauma-Dreieck zwischen Großeltern – Eltern – Kind, bei dem ein Schmerz wie in einem Perpetuum Mobile von den Eltern über die Kinder an die Großeltern weitergereicht wird. Und die Vermutung liegt nahe, dass bereits die Großeltern in ihrer Kindheit Teil eines solchen Trauma-Dreiecks waren. Das heißt, dass schon während ihrer Kindheit schlechte Gefühle weitergereicht statt bearbeitet zu werden. Trotz der guten Absicht der Eltern, die eigenen Kinder vor dem Schmerz aus der eigenen Kindheit zu schützen, findet nun wieder eine ungewollte Verschiebung des Traumas statt.
Der blinde Fleck in der Familienmediation ist meist das Innere Kind des Elternteils, das den Kontakt mit den Großeltern abbricht. Also die innere, unverarbeitete Erlebniswelt dieser Eltern, die heute noch immer in ihnen wirksam ist. Wen wir als Mediatoren in der Konstellation also leicht übersehen können, ist das Innere Kind, das immer noch leidet, sich noch immer unverstanden, ungeliebt und nicht respektiert fühlt. Dieses Innere Kind hätte damals Empathie von seinen Eltern gebraucht und braucht, da es sie nicht bekommen hat, jetzt die Aufmerksamkeit und Sorge von uns Mediatoren. Eine mögliche Erkenntnis einer Familienmediation kann demnach darin liegen, dass eines der Inneren Kinder der Familienmitglieder (sowohl das Innere Kind der Eltern als auch das der Großeltern) bis heute nicht gut versorgt ist. Hier liegt in besonders schmerzhaften Fällen meist zusätzlicher Therapiebedarf vor. Die Aufgabe von uns Mediatoren ist es, aus dem Trauma-Dreieck hinausführen, indem wir die Entflechtung zwischen den realen Personen und den Inneren Kindern für unsere Medianden offenlegen und diese möglichst transparent machen.
Wie erkenne ich, ob mein Inneres Kind Fürsorge braucht?
Als Mediatoren sind wir ständig damit befasst, zwischen verschiedenen Welten zu vermitteln und zu übersetzen. In diesem Fall sollte uns bewusst sein, dass wir nicht nur im Hier und Jetzt mediieren, sondern sozusagen über die Zeit hinweg vermitteln. Daher lohnt sich für uns stets die Frage:
Wenn es in einer Mediation zu einem Verständnis des Trauma-Dreiecks und der Interdependenz zwischen den verschiedenen emotionalen und zeitlichen Ebenen gekommen ist und es darüber hinaus möglich ist, sich im geschützten und moderierten Rahmen über diese alten Verletzungen auszutauschen, Verständnis zu bekommen, Vergebung zu gewähren und Versöhnung zu erfahren, dann kann die aktuelle Beziehung von Eltern, Großeltern und Enkeln aus alten Mustern befreit und wieder neu gelebt und gestaltet werden – und die Empathie mit den eigenen Kindern findet wieder im Hier und Jetzt und ohne alten Ballast statt.
RheinMediation - Kultur der Verständigung
Steppi
Veronika Behlau
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